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Was für ein Buch! Vielmehr ein Werk mit nicht weniger als 432 Seiten. Eigentlich kenne ich es von Phaidon nicht anders: das sind tatsächlich Standardwerke. So auch dieses.
Die Autorin Leah König lebt in Brooklyn/New York und hat bereits beeindruckend viel zur jüdischen Küche in hochkarätigen Zeitungen und Zeitschriften publiziert, auch sechs Kochbücher zu diesem Thema hat sie verfasst. Und dann schreibt sie noch ganz bescheiden im vorliegenden Buch, sie war sich nicht sicher, ob sie die richtige ist, um ein Standardwerk zu schreiben − ja wer, wenn nicht sie! Sie hat beachtliche zehn Jahre mit der Suche nach jüdischen Rezepten verbracht.
Das Buch ist auch von der Aufmachung her ein Nachschlagewerk: Der edle Leineneinband ist nicht das, was man gern in der Küche herumliegen hat. Dagegen sprechen auch die 432 Seiten, denn das Buch ist schwer. Das ist ein Kompendium, das bei mir über Wochen ein stets willkommener Gast auf dem Couchtisch war und in dem ich gern, oft und lang geschmökert habe. Es ist ein Buch, in dem man viel nachschlagen kann − ein Standardwerk eben und keine kleine Broschüre, um die es nicht schade ist, wenn sie Fettspritzer bekommt.
Es gibt wenige Fotos im Buch und die sind nicht spektakulär. Weder großes Drama noch unglaubliche Inszenierung, sondern schlicht und einfach. Sie zeigen, wie in etwa das Gericht am Tisch aussehen soll, nicht mehr. Sehr passend zum gesamten Buch.
Was mir ja wahnsinnige Bewunderung abringt, ist die Vorstellung, wie dieses Ergebnis von 10 Jahren Recherche in Sisyphosarbeit vereinheitlicht wurde. Das ist nämlich sehr gut gelungen. Die Rezepte sind alle mit einer kleinen Einleitung versehen, in denen Herkunft und Geschichte des Gerichts erläutert werden. Man erfährt quasi so nebenbei sehr viel über jüdische Kultur. Dann kommen Zutaten und die Beschreibung der Zubereitung. Alles ist ohne Schnörkel und einfach gehalten.
Was man gar nicht kann, ist jüdische Küche einem bestimmten Land zuordnen. Im Vorwort steht dazu: "Die jüdische Küche wurde durch Resilienz, Anpassungsfähigkeit und Veränderung, durch Sehnsucht und Erinnerung und oft auch durch Heimweh geformt." So ein schöner Satz! Man sieht, es ist also auch etwas für Leute, die sich an sprachlicher Schönheit erfreuen können.
Was die Rezepte eint, ist das Zusammenkommen bei Tisch. Ein wunderbarer Ansatz: Essen ist das, was zusammenhält.
Juden kommen zum Schabbath, zu Hochzeiten, an religiösen Feiertagen zusammen, es hat also sehr viel mit der Gemeinschaft zu tun, wo immer auf der Welt das jeweilige Ereignis stattfindet. Das sieht man auch bei der Menge, für die die Rezepte gemacht sind. Nicht wie bei mir oft für zwei, sondern meistens für sechs bis acht Personen. Das ist übrigens nicht durchgehend gleich, was natürlich Sinn macht, denn beispielsweise einen Kuchen oder ein Brot kann man nicht auf zwei Portionen runterrechnen.
Die Rezepte sind durchgehend koscher. Man erkennt, wie unterschiedlich die jüdische Kultur auf der ganzen Welt ist, von Mexiko, von Israel, von Nordafrika über Äthiopien bis Polen − nie war mir das klarer als nach der Lektüre dieses Buches. Das ganze vermittelte Wissen darf man sich aber nicht bierernst vorstellen wie Geografie in meiner Schulzeit! So habe ich zum Beispiel erfahren, dass es eine Entscheidung des israelischen Oberrabinats gab zum Falten der Bureka gibt. Da gibt es noch einiges mehr in dem Buch, das einen staunen und schmunzeln lässt.
Die Rezepte sind gegliedert nach Frühstück; Brot; Salate, Aufstriche, Eingelegtes & Vorspeisen; Suppen & Eintöpfe; Fittiertes & herzhaftes Gebäck; Klöße, Teigtaschen, Nudeln & Kugel; Hauptgerichte; Kuchen, Gebäck und Plätzchen; Süßigkeiten & Desserts; Relishes, Würzmischungen & Getränke. Es sind bekannte Rezepte in dem Buch (Shakshuka, Bagels, Latkes ...), manche vermeintlich bekannte wie Matzenknödelsuppe überraschen dann doch durch die lokalen Besonderheiten (mit Avocado und Kordiandergrün), andere wieder waren mir vollkommen neu wie Charosset (ein Relish aus Nüssen und Früchten) oder Faloodeh sib, eine Mischung aus geriebenen Äpfeln, Rosenwasser und Zucker, die als Eis serviert wird. Was ich an dieser Stelle noch hinzufügen muss: Selbst Vorwort und Einleitung sind sehr lesenswert! Dass das Register sehr umfangreich und gut zusammengestellt ist, ist bei einem so umfangreichen Buch quasi dessen Überleben, denn ohne das hätte man echt ein Problem mit dem Zurechtfinden.
Praktisch für Vegetarier und Veganer: Jedes Rezept enthält ein entsprechendes Zeichen, was es einfach macht, ein passendes Gericht zu finden, ohne immer die gesamte Zutatenliste lesen zu müssen. Auch für milchfrei und glutenfrei gibt es entsprechende Symbole. Auch ist auf einen Blick ersichtlich, ob ein Rezept einfach (bis 5 Zutaten) oder wenig aufwändig ist (bis 30 min.).
Wie schauts aus mit den Zutaten? Sehr einfach! Ich will nun nicht für mich in Anspruch nehmen, dass ich alle Rezepte auf Herz und Nieren getestet hätte, aber ich bin sehr gründlich beim Lesen und mir wäre nichts aufgefallen, was man nicht im Supermarkt bekommen könnte. (Ja, auch Matzes gibt es im Supermarkt, danach habe ich extra geschaut.)
Was mir sehr gefällt: Es kommen Gastautoren zu Wort, die sind wirklich das Who’s who der jüdischen Kochwelt. Leute wie The Wise Sons (Evan Bloom, Ari Bloom und Leo Beckerman), Niki Russ Federman, Florence Kahn, Yotam Ottolenghi, Laurel Kratochvila (Da war ich schon.), David und James Ardinast und einige mehr steuern Rezepte bei. Jüdische Restaurants in aller Welt werden auch vorgestellt. Damit ist also noch ein Bereich abgedeckt, wenn man etwas über die aktuelle jüdische Koch-Welt wissen möchte.
Die Schwierigkeit der Rezepte ist entsprechend der Vielfalt sehr unterschiedlich. Auch hier ist ein großes Spektrum abgedeckt: Es wird weder AnfängerInnen noch ambitionierten HobbyköchInnen langweilig bei diesem Kochbuch. Ich kann mich nicht erinnern, auf Anhieb so viele Rezepte aus einem Kochbuch nachgekocht zu haben.
Ausprobiert habe ich entsprechend viele Rezepte. Vom heimisch anmutenden Apfelstrudel über traditionelle Latkes bis zu exotischen Gerichten fand ich mir mehr als genug in dem Buch. Ich werde im Laufe der Zeit Fotos mit einer kurzen Erläuterung hier im Posting ergänzen, denn ich bin sicher, da sind noch mehr als genug Rezepte fällig.
Apfelstrudel
Ja, tatsächlich! Einfach Apfelstrudel! Dieses ist eines von 16 Apfel-Rezepten im Buch und gerade das habe ich mir angelacht. Was ich nicht gemacht habe, war fertigen Strudelteig kaufen, den mach ich lieber selber. Aber ein Apfelstrudel besteht ja nicht nur aus Teig, daher kann man gut an den Zutaten sehen, ob das Rezept passt, und das tut es wirklich. Die Mengenangaben passen sehr gut, die empfohlene Apfelsorte (Boskop) ist perfekt!
Gurkensalat aus Einlegegurken
Ich gestehe, dass ich die letzten Gurken von Balkonien einfach als Einlegegurken deklariert habe, denn sie waren recht klein. Zu den Gurken gesellen sich rote Zwiebel, Dille und Chiliflocken, außerdem eine Vinaigrette ohne Öl. In Summe ergibt das einen schönen Salat, der mit seinen Aromen gut zu vielen Gerichten passt.
Weichselsuppe
Mit einer kalten Obst-Suppe habe ich euch ja schon belästigt. Und weil das für mich einer der erfreulichsten kulinarischen Entdeckungen war, musste ich natürlich auch diese Suppe mit tiefgekühlten Weichseln ausprobieren. Schmeckt super! Ich werde sie im Sommer sicher wieder machen und euch dann das Rezept zeigen.
Erdäpfel-Latkes
Noch nie habe ich bessere Erdäpfelpuffer gegessen als bei einer jüdischen Freundin, die ich vor vielen im Krankenhaus besucht habe. Eine jüdische Freundin hatte sie mit Erdäpfelpuffern versorgt und wir haben sie zusammen gegessen. Seither träume ich davon. Nun weiß ich endlich, wie sie gehen! Ich habe bisher nie Zwiebel reingerieben und auch keine Petersilie reingetan und ich denke, diese Kombination macht es auch. Sicher auch, dass die Puffer nicht in wenig Öl gebraten werden, sondern in ½ cm hoch stehendem Öl frittiert werden. Ab jetzt nur mehr so!
Paradeis-Zwiebel-Salat
Noch einmal letzte Ernte von Balkonien: Die unterschiedlichsten Paradeiser durften mit rotem Zwiebel, Petersilie und Weinessig in eine Schüssel. Schon wieder ohne Öl! Ich hab ehrlich gesagt noch nie vorher bewusst Salate ohne Öle probiert und muss sagen, das geht! Es ist nicht bei allen Salat-Rezepten in dem Buch so, aber für mich war das ein Grund, noch einen zweiten Salat zu machen.
Palatschinken
Aus der ungarisch-rumänischen jüdischen Küche haben wir ÖsterreicherInnen dieses Rezept also geklaut! Wieder so ein Aha-Erlebnis aus diesem Buch. Das Rezept funktioniert, allerdings habe ich die Palatschinken nicht so hauchdünn zusammengebracht, wie ich sie gern mag.
Hendl-Kokos-Curry
Ja, ja, auch Curries sind jüdische Küche! Dieses hier stammt von der indisch jüdischen Gemeinde Ben Israel und ich habe selten so ein ausgewogenes Curry gegessen. Mit viel Gemüse (Paradeiser, Paprika, Süßkartoffel) und wenig Fleisch ein Essen in einer Zusammensetzung, wie wir das gerne mögen. Mit Kokosmilch und viel Koriander und Cashewkernen ein hervorragendes Essen.
Challah
Ein ganz klassisches jüdisches Challah-Brot habe ich schon gebacken. "Schon", weil wir in Wien klassisch zu Allerheiligen Striezel essen und es eigentlich noch zu früh ist. Aber dieses Rezept habe ich keinen einzigen Tag zu früh ausprobiert. Der Teig ist sehr gut zu verarbeiten und wenn man sich an die Backzeit hält, dann sieht der Striezel sicher nicht so dunkel aus wie bei mir.
Rugelach mit Zimt und Nüssen
Gewonnen haben schlussendlich die Rugelach und ich werde sie im nächsten Posting vorstellen.
Unterm Strich: Ein grandioses Standardwerk, an dem ich noch lange Freude haben werde. Geeignet sicher für AnfängerInnen wie auch für Fortgeschrittene, da alle Rezepte sehr gut beschrieben und gelingsicher sind, aber dennoch viel Neues zu bieten haben.
Fakten zum Buch
ISBN: 978-3-947426-12-6
Preis 39,99 €
Erscheinungsdatum: September 2020
Umfang: 432 Seiten
Gebundenes Buch mit Bändchen als Lesezeichen
Bestellen kann man das Buch wie immer beim Buchhändler ums Eck, direkt beim Verlag oder im Internet bei einem der vielen Buchhändler, die versenden. Für Österreich hier eine Liste der Buchhandlungen mit Online-Versand.
Die Links sind alle keine Affilate-Links.
Danke an den ZS Verlag für das Rezensionsexemplar.