Freitag, 10. November 2017
[Urlaub] Kairo - Wechselbad der Gefühle
Ja, Kairo. Keine Stadt, die ich sonst kenne, weckt so viele gegensätzlichen Gefühle in mir. Einerseits ist es zum Davonrennen: Es hat im Großraum zwischen 16 und 30 Millionen Einwohner - genauer weiß das niemand. Ein Moloch aus Lärm, Dreck, Chaos, eine männerdominierte Welt. Dennoch: Ich habe dort Gastfreundschaft gefunden, die mir bis jetzt noch Tränen in den Augen aufsteigen lässt, wenn ich daran denke. Und nicht zuletzt habe ich 1001 Nacht gefunden, denn die Altstadt ist ein Kleinod, wie ich es noch nie gesehen habe.
Es gibt Wunderlichkeiten, die bei näherem Hinsehen alle einen Sinn ergeben: So ein Sessel ist kein Müll, der einfach so auf der Straße steht, sondern da sitzt normalerweise der Hausmeister eines Hauses und überwacht, was sich da so tut, nimmt die Post für Hausbewohner entgegen und dirigert die Autoeinparker: In Straßen, in denen geparkt werden darf, muss die Handbremse immer gelöst bleiben. Autoeinparker schieben die Autos hin und her, damit sie Stoßstange an Stoßstange stehen, um möglichst viele Autos unterbringen zu können. Wo das jeweilige Auto dann steht, weiß eben der Hausmeister.
Solche riesige Ballen mit Baumwolle werden immer noch transportiert wie im Mittelalter: Frauen tragen sie auf dem Kopf. Der Verkauf liegt Männerhänden.
Um die Rolle der Frau zu veranschaulichen: Vor zwei Wochen wurde in Ägypten eine Fernsehmoderatorin zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie gesagt hatte, dass Frauen ihre Kinder auch ohne Männer aufziehen können.
Und mitten in dem ganzen Durcheinander wachsen solche Bäume, die im November noch bunt blühen. So ein Anblick versöhnt mich sofort wieder mit der Stadt. Anfangs konnte ich es gar nicht glauben, so unwirklich schön blühen viele Bäume dort.
Die ganze Stadt ist eine riesige Baustelle: Wann immer jemand ein wenig Geld hat, wird ein Haus gebaut. Und diese Häuser schauen alle gleich aus!
Will jemand einziehen, muss er sich selber seine Fenster einmauern und zahlt an den Hauserbauer Miete. Eine junge Frau hat mir erzählt, wenn sie heiraten würde, dann würden ihre Eltern einfach auf das Haus, in dem sie jetzt mit ihnen lebt, einen Stock draufmauern, da könnte sie dann einziehen. Das Haus gehört aber niemanden aus der Familie.
Die alte Innenstadt ist ein Kleinod! Wunderbare 1000 Jahre alte Bauten säumen die Straßen und man kann sich gar nicht daran stattsehen. Mit unglaublicher Sorgfalt ist jedes Detail gearbeitet: solche Handwerkskunst, die großteils erhalten ist, ist ein Wunder.
Kairos Katzen: Sonderzahl sind sie in der ganzen Stadt anzutreffen. Junge Katzen, selber noch Kinder, sind schon wieder trächtig. Der höllische Verkehr wird den meisten von ihnen zur Todesfalle.
Der Nil ist bei Kairo schon wahnsinnig breit, beginnt sich sein Delta doch bald nach Kairo aufzufächern, um dann zu einer unüberblickbaren Wassermenge zu werden, die vom Meer kaum noch zu unterscheiden ist.
Zugang zu Trinkwasser haben 85 % der Bevölkerung, die restlichen 15 % beziehen ihr Trinkwasser aus dem Nil. Es gibt den Spruch in Kairo, wenn man Wasser aus dem Nil trinkt, dann wird man bald Teil des Flusses sein.
Leider - oder Gott sei Dank - habe ich kein Foto, auf dem es verkehrstechnisch wirklich wild zugeht, denn wenn aus zwei Spuren auf einer innerstädtischen Autobahn vier gemacht werden und eine davon entgegen der Fahrtrichtung geht, dazwischen Eselsgespanne fahren und Leute mit ihren Handkarren auf der Straße Essen verkaufen, dann kann ich kein Foto machen, da hab ich einfach Angst. Das, was man hier sieht, dass Leute außen an Fahrzeugen mitfahren, ist an der Tagesordnung. Dazu muss man wissen, dass oft Löcher und immer wieder Schwellen in der Fahrbahn sind, die gewaltig rumpeln. Und es wird wirklich nicht langsam gefahren. Wie viele Unfälle passieren? Viele! Die Statistiken sind katastrophal!
Ein antikes Frauenfenster: Eingesperrt in ihren nicht allzu goldenen Käfig konnten die Frauen Blicke auf die Vorbeigehenden werfen, ohne selbst gesehen zu werden.
Derzeit ist es so, dass ca. 80 % der Frauen in Kairo mit Kopftuch gehen, 10 % mit Niqab und 10 % ohne Kopfbedeckung - die Sichtbarkeit hat sich ein wenig verbessert, aber dennoch ist von Gleichberechtigung keine Rede.
Eine Gewürzhandlung: Ich muss ja ehrlich sagen, dass ich so etwas wunderschön finde, aber im Leben würde ich mir dort nichts kaufen. Den ganzen Tag sind die Produkte dem Straßenstaub ausgesetzt, kein Mensch weiß, wie lange die Sachen schon dort liegen. Außer ein paar ahnungslosen Touristen, die derzeit in Kairo kaum zu finden sind, kauft niemand etwas.
Es gibt auch recht wenige Gewürzhandlungen im Gegensatz zu anderen arabischen Ländern, wo das Angebot deutlich üppiger ist. Und man merkt es auch an der ägyptischen Küche, dass Gewürze da nicht unbedingt ihr Zuhause haben.
Dieses Foto und das nächste zeigen sehr gut, wie widersprüchlich Kairo ist: Das obere Foto ist keine Müllhalde, sondern ein ganz normales Kaffeehaus, das von Männern gut frequentiert ist, die dort Wasserpfeife rauchen und Brettspiele spielen.
Und hier dieses 1001 Nacht, das ich vorhin angesprochen habe. Wunderschöne Pölster, in akribischer Handarbeit gefertigt, dazu Tischchen mit Holzeinlegearbeiten und fein ziselierten Tellern. Hier sieht man auch die eine oder andere Frau.
Ein Campus in Kairo: Hier verschiebt sich der Anteil der Frauen mit Kopftuch/ohne Kopftuch ein kleines bisschen zugunsten sichtbarer Frauen. Dennoch: Zwei Drittel der Studierenden sind männlich. Im Alltag ist es so, dass ca. 50 % der Frauen Arbeit finden. Der Rest ist angewiesen auf Männer. Sie haben keine Krankenversicherung und schon gar kein Anrecht auf Pension.
Überall wurde ich übrigens mit "Mrs. VornamevomTurbohausmann" angesprochen. Man verliert in Ägypten sogar den eigenen Namen und wird zu einem Anhängsel des Mannes.
Inmitten des höllischen Verkehrs finden sich immer wieder Bauern aus der Umgebung, die das zu verkaufen versuchen, was gerade am eigenen Feld oder am Baum wächst. Mein Eindruck war, dass sehr viele Lebensmitteleinkäufe tatsächlich auf der Straße gemacht werden. Einkäufe in Supermärkten zu machen, bleibt einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung vorbehalten.
Eine drei bis vier Meter hohe Türe in der Altstadt: Viele solche Türen sichern bis heute alte Paläste und andere wunderschöne Gebäude. Bis ins kleinste Detail mit Einlegearbeiten verziert, einfach nur traumhaft. Und damit man so ein Gebäude dann zuverlässig schließen kann, wurden in viele dieser Türen Löcher geschlagen, durch die man massive Ketten ziehen kann, die dann mit einem Vorhängeschloss abgeschlossen werden.
In der Altstadt haben wir an einem Abend in einer alten Caravanserai eine Show gesehen, die mich für alle Zeiten mit arabischer Musik versöhnt hat. Wir waren die einzigen Touristen dort - kaum jemandem fällt zwischen den ganzen blinkenden Leuchtschriften diese dezente alte Türe auf, die uns in einen riesigen Innenhof führte, in dem ganz hochkarätige Musiker aus dem ganzen Land musizierten und tanzten.
Meine Wenigkeit durfte sich öfters in so einen kleidsamen Ganzkörpersack hüllen, um in heilige Gebäude zu kommen. In besonders heilige Stätten dürfen Frauen aber auch nicht mit Niqab bzw. sind besonders heilige Gegenstände in dem Teil der Moscheen, in den nur Männer Zugang haben.
Es war ein sehr einprägsames Erlebnis, mit Niqab herumzugehen, wenn man beim Gehen mit den Beinen nicht ausholen kann, soweit man will, und wo der Blick nach vorne gerichtet bleiben muss, denn bei jeder Kopfdrehung rutscht der Stoff über das Gesicht.
Es war eine wunderbare und extrem lehrreiche Zeit, die ich auf keinen Fall missen will. Man bekommt wieder den Kopf zurecht gerückt und lernt, dem Schicksal sehr dankbar zu sein. Mein Dank gilt meinen "Three Monkeys": Drei junge Wissenschaftlerinnen, die mich unermüdlich durch ihre Stadt geführt haben, mir meinen Vornamen wiedergegeben haben, meine Tritte ins Fettnäpfchen ertrugen und mir gezeigt haben, wie man trotz widrigster Umstände mit sehr viel Humor durch das Leben gehen kann.
18 Kommentare :
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Kommentare zum Post
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Liebe Susi, einen ganz wunderbaren Bericht hast du für uns verfasst, ich bin direkt gerührt. Was können wir hiesigen Frauen froh sein....
AntwortenLöschenNach so einer Zeit bin ich wieder voll Dankbarkeit, dass ich hier und jetzt geboren wurde.
LöschenSusi, bin voller Bewunderung - ein Land, das man doch grad jetzt eher meidet, und dann auch noch auf, für Touristen, untypischen Wegen wandeln ... ich wär viel zu feig ... aber deinen faszinierenden Reisebericht hab ich dafür jetzt richtig genossen :) ... hast du Ägyptologie studiert?
AntwortenLöschenHerzlichst Doris
Liebe Doris,
LöschenUrlaubsziel Nr. 1 war es für uns auch nicht, aber mein Mann hat ab und zu beruflich in Ägypten zu tun, daher hat es uns wieder einmal dorthin verschlagen. (Wenn wir sterben, dann machen wir das gemeinsam ... ;) )
Wir waren nach fast einer Woche Kairo aber dann noch eine Woche zum Schnorcheln am Roten Meer.
Sehr interessant Susi. Ich würde zu gern mal nach Ägypten fahren, die alte Hochkultur und Geschichte fasziniert mich, aber ich verweigere mich den Ländern, in denen Frauen in diese für mich absolut inakzeptable Rolle gezwängt werden.
AntwortenLöschenLiebe Britta,
Löschenes ist wirklich ein wunderbares Land, aber hat eben so viele Schattenseiten. Ich bin sehr froh, dass mein Mann berufliche Beziehungen dorthin hat, denn solche Verbindungen führen zum Glück auch ein wenig zur Besserstellung von Frauen. Die Institution, mit der er zusammenarbeitet, hat inzwischen 20 % Frauen in durchaus gehobenen Berufen angestellt. Das ist wahnsinnig viel für dortige Verhälnisse, wo Frauen sonst Putzfrauen und Lastenträgerinnen sind.
Es ist nur ein winziger Mosaikstein, aber ich bin froh, dass der gelegt wird.
Liebe Susi, vielen Dank für diesen sehr eindrücklichen Reisebericht! Mich zieht es zwar eher nicht dorthin (eben genau wegen der vielen Schattenseiten), aber umso interessanter ist es für mich, einen so "hautnahen" Einblick zu bekommen.
AntwortenLöschenIm Moment gibt es auch eine Reisewarnung für Ägypten und ich würde auch nicht hinfliegen wollen. Sonst trotz aller Schattenseiten jederzeit wieder.
LöschenWahrlich ein Wechselbad!
AntwortenLöschenDie vergangene Kultur bleibt leider vergangen und die nicht einmal annähernd bestehende Gleichberechtigung ist einfach tragisch.
Ja, es ist tragisch. Ich fand es unglaublich bewundernswert, wie die jungen Damen, mit denen ich unterwegs war, immer Wege finden, sich doch in dieser Welt zu behaupten.
LöschenDanke für die wunderbaren Einblicke in eine mir unbekannte Welt! Schon als junges Mädchen war Ägypten das Land meiner Träume, sah ich mich doch später als stets im Wüstensand buddelnde Archäologin/Ägyptologin - Mädchenträume :-).
AntwortenLöschenSaluti
Ariane
Nach dieser Zeit in Kairo traue ich mich zum ersten Mal sagen, dass ich wenigstens annähernd einen Einblick habe, wie das Leben dort läuft. Mich wirklich auskennen? Dafür müsste ich wahrscheinlich Jahre dort verbringen.
Löschendanke für den interessanten Reisebericht!! Ich war nie in Ägypten, kannte aber eine Frau, die mit einem Ägypter verheiratet und öfter auf Besuch in Kairo war. Sie sagte, zu Hause hätten die Frauen die Hosen an und das Wort der Mutter ist Gebot. Wer weiß...
AntwortenLöschenDas kenne ich auch von türkischen Familien, dass daheim angeblich die Frauen das Sagen haben. Ich steh halt generell auf Beziehungen auf Augenhöhe, egal ob drinnen oder draußen.
LöschenWow... sehr spannender Post. Merci fürs Mitnehmen nach Kairo. Da packt mich grad die Reiselust.
AntwortenLöschenAlso ich finde das Land unglaublich spannend. Und auch der Moloch Kairo hat eine Charme, der zwar streckenweise sehr spröde ist, aber doch vorhanden. Ich hoffe, wir kommen in absehbarer Zeit wieder hin.
LöschenWas für ein wunderschöner Bericht, liebe Susi. Wunderschön und aufrüttelnd zugleich! Wir können uns glücklich schätzen, in unserem gelobten Österreich zu leben. Tu Felix Austria!
AntwortenLöschenDanke, Verena. Es war wirklich unglaublich toll und interessant und spannend, aber eben auch das genaue Gegenteil. Ich bin dem Schicksal wieder sehr dankbar!
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