Der Turbohausmann und ich waren wieder einmal essen. Laut Falter gibt es in St. Favoriten, "unserem" Bezirk, genau vier Lokale, in denen man gut essen kann. Dazu muss noch gesagt werden, dass unser Bezirk einwohnermäßig so groß ist, dass er Österreichs drittgrößte Stadt wäre, wenn man den Bezirk von Wien abteilen würde. Also wir sind schon essenstechnisches Niemandsland. Aber nicht ganz! Für uns ist dieses Lokal eines von denen, in denen man wirklich gut essen gehen kann. Noch dazu Essen mit grandiosem Ausblick! So hoch oben waren wir: 22. Stockwerk
Zum Essen sei noch vorausgeschickt, dass wir vor einiger Zeit im Wienerberg Kino, das auch in diesem Hochaus untergebracht ist, waren. Bei dieser Gelegenheit sagen wir im Lift einen Aushang: Das Menü Durch den Wind war grad im Angebot. Schon Jahre waren wir nicht mehr dort essen. Nachträglich betrachtet ist dieses Menü auf alle Fälle jeden Cent wert und deutlich günstiger als sonst im Turm zu essen. Es ist ein Überraschungsmenü. Sollte sich also jemand überraschen lassen wollen: nicht weiterlesen!
Im 21. Stock kann man erst einmal die Aussicht mit einem Aperitiv genießen - um diese Jahreszeit ist man sehr allein da oben und der Aufenthalt auf der Terrase gestaltete sich für uns recht kurz. Aber schön über Wien schauen konnte man auf jeden Fall. Wir hatten das Glück, dass der Nebel an diesem Abend vollkommen verschwunden war und wir eine sternenklare Nacht hatten, was in Wien nun nicht gar so oft der Fall ist.
Der Tisch war sehr ungewöhnlich eingedeckt, uns hat es gefallen. Die Gläser liegen auf dem Tisch, das Besteck ist falsch herum und sehr liebevoll und exakt angeordnet. Vom Winde verweht quasi. ;)
Zuerst gab es leicht gesalzene Butter mit ein bissi Chili, dazu einige verschiedene Brotsorten. Butter und Brot waren gut.
Chili hat sich durch das Menü wie ein roter Faden durchgezogen, immer ganz zart vorhanden, nie aufdringlich, nicht brennend scharf, sondern immer so dezent, wie es das jeweilige Gericht gerade verlangt hat.
Und los geht's: Blutorangengelee mit Frischkäse und einem Orangenfilet
Ein netter Starter, der jetzt aber nicht so die große Kochkunst war, aber sicher nicht schlecht.
Nachdem das Menü "Durch den Wind" heißt, bekamen wir Rauch serviert - nicht zum Essen, sondern zum Anschauen. War wirklich eine hübsche Idee zum Start ins Menü. Ich war nur leider nicht schnell genug mit dem Knipsen, denn anfangs war wirklich der ganze Tisch im Nebel.
Da begann nun die wahre Freude: Räucherforelle mit Karottenpüree, Karottensand und Wildkräutern. Großes Kino! Ein ganz feines Püree, perfekt abgeschmeckt, der Karottenstaub dazu und vor allem die Wildkräuter - also es war nur ein einziges Kraut, das war aber toll mariniert mit einer Senfvinaigrette. Ich hab zwar gefragt, was für Blätter das waren, aber leider habe ich da eine ahnungslose, zum Abräumen abkommandierte Jungkellnerin erwischt, die sich nicht auskannte. In Verlegenheit wollte ich sie auch nicht bringen, indem ich sie losschicke zum Nachfragen.
Weiter ging's mit den netten Spielereien: Die Maiscremesuppe befand sich in dem Servierball, der kopfüber auf dem Teller stand. Der Ball wird hochgezogen und die Suppe rinnt in den Teller.
Geschmeckt hat die Suppe ausgezeichnet. Mir war gar nicht klar, dass Kukuruz so gut schmecken kann. Auf der Suppe drauf waren Kokosschaum und Chili-Papadams. Eine sehr gute Kombination!
Da ist es nun, mein erstes Onsen-Ei. Ich dachte immer, das hätte so ungefähr die Konsistenz von verlorenen Eiern, aber das Eiweiß war viel weicher. Nicht glibbrig, auch wenn das hier so aussieht! Zum Glück, denn rohe Austern und solche Sachen bringe in einfach der Konsistenz wegen nicht runter. Dazu gab es Rote Rüben-Püree und Gewürz-Couscous. Dieses Couscous war gut! Ich nehme mal an, dass zumindest Gelbwurz, Chili und Zimt drinnen gewesen sind, auf jeden Fall war es ausgewogen gewürzt und vom Chili war nur ein ganz sachtes Kitzeln am Gaumen zu spüren, sodass das zarte Ei nicht übertönt wurde.
Zwischengang: ein Schäumchen. Ein ganz wunderbar luftig aufgeschlagenes Schäumchen sogar. Ein dezenter Geschmack nach Grapefruit, abgrundet mit einem Hauch Mole, in dem ja auch Chili drinnen ist, was ich aber im Leben nie herausgeschmeckt hätte.
Das Highlight: NT gegartes Kalb mit einem Sößchen, das seinesgleichen sucht, dazu Epü (Erdäpfelpüree) und Kohlsprossen, parfumiert mit Chili-Öl. Das Fleisch so zart, dass man es mit der Gabel zerzupfen konnte.
Wie das Epü gemacht wurde, weiß ich nun, nachdem ich von der Firma Isi eingeladen war: aufgeschäumt im Thermo-Whipp. Eline hatte schon einmal über einen Thermo-Whipp geschrieben, da hatte ich noch gar keine Ahnung, was das sein soll. Ich muss das unbedingt einmal nachmachen, weil das das beste Epü ist, das ist kenne. Ich hab aber keine Ahnung, wie ich ein Wasserbad stabil auf 70 Grad halten kann, was dazu nötig wäre.
Der krönende Abschluss: Mojito-Eis auf marinierten Ananans mit Ananas-Sand und feschen kleinen Baisers. Auch hier wieder eine ausgewogene Komposition der verschiedenen Texturen und Aromen, ausnahmsweise ohne Chili - oder ich hab den nicht herausgeschmeckt, was natürlich auch sein kann.
Habe ich nun hoffentlich allen den Mund wässrig gemacht? Hingehen, hingehen, hingehen, solange es dieses Angebot mit dem Menü noch gibt. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.
Dann kommt als Draufgabe noch ein Foto von der Aussicht, die man gratis dazu bekommt, wenn man im Turm essen geht. Für uns als begeisterte Bewohner von St. Favoriten: Man sieht "unseren" Wasserturm, den ich für eines der schönsten Bauwerke von Wien halte. So schön kann Gebrauchsarchitektur sein.